
Hey, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit können total einfach sein. Sie können Dich fast automatisch und sekündlich im Hier und Jetzt begleiten. Und dazu noch extrem intensiv. Ja, ich weiß, kaum zu glauben. Aber es ist so. Stell Dir einfach mal Deinen letzten Magen-Darm-Virus vor. Wetten, dass Deine Aufmerksamkeit und Achtsamkeit ständig im Bereich Deiner Körpermitte gelegen hat. Oder noch besser: Diese ekligen Blasenentzündungen. Immer, wirklich immer liegt in solchen Fällen Dein Fokus auf diesen unangenehmen, weil schmerzhaften Symptomen, die Dich dabei heimsuchen. Und das, wenn es schlecht läuft, über Wochen oder sogar permanent.
Krass oder?!? Wie leicht wir in den eher unangenehmen Situationen des Lebens volle Aufmerksamkeit entwickeln und uns dieses Rumoren im Bauch oder das ätzende Gefühl, ständig auf die Toilette zu müssen, nicht mehr loslässt. Aber wie steht es eigentlich mit den positiven Dingen? Wann schaffen wir es, die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit in den Moment zu legen, in dem wir morgens nach dem Aufstehen entdecken, wie schön es ohne Blasenentzündung und Durchfall ist. Wie toll sich der Körper gerade jetzt anfühlt ohne ständige Schmerzen? Wie großartig es ist, sich einfach nur wohlzufühlen? Vielleicht ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. Und jetzt wieder. Also: Lesepause! Kurz die Augen schließen! Wo bist Du gerade? Was ist gerade? Danke! Und weiterlesen:
Auch wenn der Augenblick, der Dir klarmacht, wir fantastisch es ist, keine Schmerzen zu spüren, häufig immer nur ein Wimpernschlag lang andauert, er wird Dich garantiert irgendwann kurz zum Lächeln bringen. Falls Du das "Risiko" eingehen willst, versuch es danach nochmal und nochmal. Keine Angst, die "Gefahr" des permanten Dauer-Lächelns ist anfangs noch nicht so groß :-) Nein, es geht hier und jetzt gerade nicht darum, uns mal wieder zu sagen, wie dankbar wir sein sollten, weil wir gesund sind und eigentlich alles haben. Ich bin mir sicher, diesem kurzen Lächeln wird, wenn wir es ein wenig üben, über kurz oder lang sowieso das Gefühl der Dankbarkeit folgen.
Immer nur einen Schritt nach dem anderen
Genau aus diesem Grund habe ich das Titelbild gewählt: Alles hat seine Zeit, alles braucht aber auch seine Zeit. Dies gilt für mich vor allem dann, wenn wir Schritt für Schritt lernen, unsere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zur Abwechslung mal auf die scheinbar selbstverständlichen, schönen Erfahrungen, Entwicklungen und Erlebnisse zu legen. Dabei geht es nicht nur um den körperlichen Bereich, auch in der persönlichen Entwicklung, in der zwischenmenschlichen Kommunikation, in emotionalen Beziehungen nehmen wir nur selten wirklich wahr, welche Fortschritte wir machen. Wir achten einfach nicht darauf, sondern verlieren uns zu oft im stressigen Alltag, in Zukunftsplänen und negativen Erfahrungen.
Ein perfektes Beispiel dafür war für mich die jüngste Qi Gong-Stunde im Landhaus Fernblick. Eigentlich war es eher ein Qi Gong-Gesprächskreis. Schließlich ging es noch vor der ersten Übung im Dialog der Teilnehmerinnen, die ihren demenziell erkrankten Mann pflegen, darum, warum es gar nicht so einfach ist, sich ganz persönliche Auszeiten zu gönnen. Vor allem nicht in Situationen, in denen der Partner fast 24 Stunden am Tag Aufmerksamkeit benötigt. "Andere haben gut reden", "Ich muss funktionieren", "Wenn ich mir mal Zeit gönne, habe ich ein schlechtes Gewissen", "Es ist einfach schwer" - so der Tenor in den ersten zehn Minuten... Dann wurde es spannend: Warum es denn schwer ist, sich kleine Zettel an Kühlschrank und Badezimmer-Spiegel zu kleben mit Stichwörtern wie "Durchatmen", "Kaffee-Pause?" oder schlicht "Auszeit". Nur als Erinnerung daran, sich zwischendurch kurz mal selbst etwas Zeit und Fürsorge zu gönnen. Völlig egal erstmal, ob man es dann sofort tut oder erst später. Oder was kann mich daran hindern, abends vor dem Fernseher einen Zettel mit einer oder zwei kurzen Notizen über die Aufgaben zu schreben ,die ich heute geschafft habe? Interessant auch die fast schon gespentische Stille auf die Feststellung, dass es eine Wahnsinns-Leistung ist, sich einen Urlaub im Landhaus Fernblick zu organisieren und zu gönnen und dann noch die Energie zu haben, Qi Gong auszuprobieren. Keine Selbstliebe? Von wegen... Es war allen Teilnehmerinnen nicht BEWUSST!
Wenn plötzlich andere Tränen fließen
Keiner hatte das auf dem Schirm, niemand hat auch nur annähernd bewusst wahrgenommen, was für eine wunderbare Entwicklung es ist, sich nach Jahren der Aufopferung regelmäßig einen Tag Hilfe in einer Tagesbetreuung zu suchen oder den eigenen Kindern zu sagen, dass das Weihnachtsessen dieses Jahr gemeinsam gekocht wird, weil die Kraft oder einfach die Lust dazu fehlt. Erfahrungen, die überhaupt nicht präsent waren, weil überlagert von der Belastung und der Fokussierung auf den anstrengenden Alltag. Und in diesem Qi Gong-Kreis flossen plötzlich andere Tränen als vorher. Genährt von Freude und Stolz, Entspannung und Selbstliebe, Annahme und Akzeptanz.
Klar, es dauert, die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit ab und zu auf den augenblicklichen Moment zu legen. Auch auf die positiven Aspekte. Die Perspektive zu wechseln und wahrzunehmen, dass wir uns ständig weiterentwickeln und wir sanft mit uns umgehen dürfen. Es gibt genug Gründe dafür. Und es gibt viele Möglichkeiten, diese Aufmerksamkeit zu üben, ohne Stress. Denn das Schöne ist, wir alle dürfen uns Zeit nehmen, denn "alles braucht seine Zeit"!

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